Medizinprodukteverordnung (MDR): Was ändert sich für Hersteller?


Seit ihrem Inkrafttreten im Mai 2021 wirbelt die Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte, auch Medical Device Regulation (MDR) genannt, Staub auf. Die Kritik an der Richtlinie ist ebenso vielstimmig wie vielfältig und schafft es regelmäßig bis in die großen Medien wie Tagesschau oder Handelsblatt. Verbände wie der BDI oder BVmed sehen durch Überregulierung und einen strukturell bedingten Umsetzungsstau (Stichwort: Mangel an sogenannten Benannten Stellen) den Medizintechnikstandort Deutschland bedroht. Hersteller fürchten um den Fortbestand ihrer zum Teil in jahrzehntelanger Praxis bewährten Legacy-Produkte. Ärzte beklagen, dass ihnen nach Ablauf der Übergangsfrist möglicherweise gewisse medizinische Geräte zur Behandlung bestimmter Krankheitsbilder nicht mehr zur Verfügung stehen.

In einer kleinen Reihe von Blogbeiträgen möchten wir uns den verschiedenen Aspekten und Implikationen der MDR widmen und versuchen, etwas Klarheit in die Diskussion zu bringen und Lösungsansätze für Hersteller und Entwickler zu skizzieren. In diesem Beitrag fassen wir zunächst die Neuerungen gegenüber der bisherigen Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG (auch Medical Device Directive, MDD) zusammen.

 

Was ändert sich gegenüber der MDD?

Sämtliche Anforderungen der alten Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG wurden in die neue MDR übernommen. Allerdings klassifiziert die MDR einige Produktgruppen neu und weitet die Regulierungen auf verschiedene Produktgruppen (Risikoklassen) aus, die bisher nicht betroffen waren. Für einige Produkte der Klasse IIb und III wird darüber hinaus ein Konsultationsverfahren (mit unabhängigem Expertengremium) eingeführt. Zudem spezifiziert die MDR neue Anforderungen, die den Aufwand für die Zertifizierung von Medizinprodukten zusätzlich z. T. deutlich erhöhen. ­ Branchenschätzungen gehen inzwischen in etwa von einer Verdoppelung des Zertifizierungsaufwands aus.

Hersteller müssen laut MDR

  • über Systeme für das Risikomanagement (Artikel 10, Absatz 2) und das Qualitätsmanagement (Absatz 9) verfügen;
  • in einem Konformitätsbewertungsverfahren nachweisen, dass die geltenden Anforderungen erfüllt sind (Artikel 10, Absatz 6);
  • prüfen, ob und welche ihrer Produkte unter die neuen Klassifizierungen fallen;
  • eine „Verantwortliche Person“ benennen, die für die Einhaltung der Vorschriften zuständig ist (Klein- und Kleinstunternehmen sind davon ausgenommen, müssen jedoch dauerhaft auf eine Person mit erforderlichem Fachwissen, ggf. auch eine externe Person, zurückgreifen können);
  • eindeutige Produktkennungen (Unique Device Identification, UDI) an den Produkten anbringen, welche die Rückverfolgbarkeit und Überprüfung der Wirksamkeit erleichtern sollen;
  • über Systeme verfügen, mit denen sie ihre finanzielle Verantwortung für Schäden abdecken, die durch fehlerhafte Produkte verursacht werden (Absatz 16).

 

Grundsätzlich nimmt die MDR sehr viel stärker als ihre Vorgängerin den gesamten Produkt-Lebenszyklus in den Blick. So sind Hersteller auch für Produkte verantwortlich, die bereits auf dem Markt sind (Artikel 10, Absätze 12, 13 und 14). Zudem gibt es umfangreiche Vorgaben für Nachbeobachtungen und für die kontinuierliche Aktualisierung der technischen Unterlagen. Hersteller sind demnach verpflichtet, technische Unterlagen zu erstellen (Artikel 10, Absatz 4) und regelmäßig zu aktualisieren sowie klinische Bewertungen durchzuführen (s. u.), die auch Nachbeobachtungen nach Inverkehrbringen (Post-Market-Surveillance) umfassen (Artikel 10, Absatz 3).

 

Klinische Bewertung

Als verbindlicher Bestandteil der technischen Dokumentation erhält die klinische Bewertung ein hohes Gewicht. Ziel ist ein verlässlicher Nachweis, dass ein Produkt den Sicherheits- und Leistungsanforderungen entspricht, sein Nutzen klar ist und kein erhöhtes Risiko von seiner Verwendung ausgeht. Dazu verlangt die MDR eine systematische Recherche und Analyse der vorhandenen Fachliteratur sowie von Daten aus Marktbeobachtung, Reklamationsmanagement und Meldungen in einschlägigen Datenbanken, wie die des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Sicherheits- und Leistungsanforderungen sowie der klinische Nutzen eines neuen Produkts sollen mithilfe eines Äquivalenzprodukts („Gleichartigkeit“) bewertet werden. Als äquivalent gilt ein Produkt dann, wenn es vergleichbare technische, biologische und medizinische Merkmale aufweist (Details spezifiziert Anhang XIV Abschnitt 3). Hersteller müssen zudem eindeutig nachweisen, dass sie über einen hinreichenden Zugang zu den Daten der Produkte verfügen, mit denen sie die Gleichartigkeit geltend machen (ebd.).

Einen guten Überblick für die Umsetzung des Äquivalenzverfahrens gibt die MDCG Guideline 2020-5 “Clinical Evaluation – Equivalence“. Sie schlüsselt die Anforderungen der MDR in Hinblick auf technische, biologische und medizinische Vergleichbarkeit genauer auf und gibt Hinweise zum Nachweis der Vergleichbarkeit, zur Verwendung der Daten von Vergleichsprodukten und der Identifizierung relevanter medizinischer Daten.

 

Risiko- und Qualitätsmanagementsystem 

Durch verbindliche Einführung eines Risikomanagementsystems (RMS) sollen Gefährdungen, die mit Medizinprodukten verbunden sind, erkannt werden sowie Risiken abgeschätzt, bewertet und kontrolliert werden. Dabei weist die MDR ausdrücklich darauf hin, dass das Risikomanagement „als kontinuierlicher iterativer Prozess während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts zu verstehen ist (Anhang I, Kapitel 1).

Mit einem Qualitätsmanagementsystem (QMS) soll zudem sichergestellt werden, dass die Produkte den Sicherheits- und Leistungsanforderungen der MDR entsprechen. Ein QMS umfasst dabei alle Elemente der Organisation eines Herstellers mit Bezug zur Qualität der Prozesse, Verfahren und Produkte. Es muss kontinuierlich gepflegt, aktualisiert und verbessert werden.

Eine gute Orientierung bieten die einschlägigen Normen DIN EN ISO 14971 (Risikomanagement) und ISO 13485 (Qualitätsmanagementsystem).

 

Zertifizierung

Die Zulassung eines Produkts erfolgt nach Prüfung und Bewertung der vom Hersteller durchzuführenden Konformitätsbewertung durch die sogenannten „Benannten Stellen“. Diese Stellen werden (in Deutschland) durch die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) jeweils für die Prüfung bestimmter Risikoklassen autorisiert. Zur Bescheinigung der Konformität können sich Hersteller an eine Benannte Stelle ihrer Wahl wenden, die für das entsprechende Verfahren und die betreffende Produktkategorie benannt ist. Im Juni 2022 gibt es allerdings in Deutschland gerade einmal 29 zugelassene Stellen. Die komplexen, z. T. unklaren Vorgaben für deren Arbeit bremsen die schnelle Erteilung von Zulassungen zusätzlich ab.

 

Fazit

Hersteller, die ein neues Produkt MDR-konform entwickeln oder ein Legacy-Produkt nach MDR-Vorgaben zertifizieren lassen wollen, müssen also eine Reihe von Vorgaben umsetzen und sich auf die eine oder andere Hürde bei der Abwicklung einstellen.

Aber es gibt Unterstützung: Mit unserer Kenntnis der einschlägigen MDR-Vorgaben und unserem Engineering-Know-how stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung, wenn es um die MDR-konforme Entwicklung von Medizinprodukten geht. Vor allem (aber nicht nur) bei Legacy-Produkten hilft NewTec gerne bei Risikoanalysen, der Formulierung von Requirements, Tests und Validierung oder der Traceability.


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